Von Sven Hoch
Tagein, tagaus bedeckt der unablässige Wind sie mit Staub und Geröll. Die Strahlen der sengende Sonnen verbrennen sie unbarmherzig, Regentropfen wagen sich bis hierhin nie vor. Nur die Sterne besuchen sie Nacht für Nacht. Dies ist kein Ort für Menschen, hier sind nur die Götter zuhause. Über den flachen, trockenen Boden sind schnurgerade Striche gezogen, nur vom Himmel kann man die riesigen Bilder sehen, die in den Schoss der Erde eingelassen wurden. Dies ist die Hochebene von Nazca mit ihren seltsamen Linien und Figuren. Nein, dieser Ort ist kein Mysterium sondern Realität - aber er erschließt sich nur den Eingeweihten!
Mit dieser Landschaft und ihren Traditionen setzt sich die Peruanerin Aminta Henrich in ihrer Bilderserie „Nazca-Linien“ auseinander. Die Gemälde der im westfälischen Soest lebenden Künstlerin wurden jüngst in der Botschaft ihres Heimatlandes in Berlin ausgestellt.
Wie die Nazca-Ebenen geben auch Henrichs Bilder ihr Geheimnis nicht auf den ersten oder zweiten Blick preis. Es braucht Zeit, Gesamtheit und Details zu erfassen und auf sich wirken zu lassen. Da sind kräftige Farben, die sich zu frischen, leuchtenden Mosaiken vereinigen. Dort wiederum findet man sich kaum voneinander abhebende Nuancen von Braun- und Grautönen vor, die ineinander verlaufen und sich schließlich in einer eintönigen „Farbwüste“ verlieren. Mal schemenhaft, mal ganz klar tauchen immer wieder Linien, Formen und Figuren auf – und verschwinden dann wieder.
Das Auge muss über die Farben wandern, Schicht um Schicht erklimmen, Linie um Linie entdecken, Figur um Figur freilegen. Erst dann kann es fündig werden, entdeckt z.B. den „Weg ins Unendliche, Grenzenlose“ im gleichnamigen Gemälde. Erst dann kann der Betrachter zum „Eingeweihten“ werden, lernt, aus der Perspektive einer anderen Zeit und Dimension auf unsere heutige Welt blicken. Erst dann gelangt er an jenen Ort, an dem sonst nur die Götter wohnen.
Henrichs Werke – so Inge Schubert-Hartmann - sind ein Kompliment an die gestaltete Natur ihres Heimatlandes, aber auch generell an die großen Leistungen der Menschheit, sie zeigen die Sehnsucht des Menschen nach der Durchdringung alles Geheimnisvollen und Numinösen.
Schöpfen und Träumen – Die peruanische Malerin Aminta Henrich
Maria Aminta Henrich Nonone(© Aminta Henrich Nonone)
Aminta Henrich Nonone stammt ganz aus Nähe von Nazca. Sie ist in Pisco aufgewachsen, einer Hafenstadt etwa 160 km nördlich der berühmten Bodenzeichnungen. Schon in ihrer Kindheit begeistert Henrich sich für die Geschichte ihrer Heimat. In ihrer Fantasie erkundet sie immer wieder die alten Inkawege, sucht die Spuren der Vergangenheit ihres Landes. Sie träumt von längst vergangenen Kulturen, von Bruchstücke tönerner Gefäße, präkolumbianischen Malereien, von verlassene Statuen im Dickicht des Urwaldes, zu deren Füßen Menschen einst ihre Göttern huldigten, sie träumt von diesen Menschen, die lachten, tanzten, beteten und sich fürchteten. Die Tante erzählt ihr häufig von den geheimnisvollen Nazca-Linien. Die Magie der riesigen Bodenbilder gräbt sich tief in ihre Seele, in ihr Herz ein – und bleibt dort lange Zeit verborgen.
Ihre künstlerische Laufbahn beginnt während des Biologiestudiums in Peru. Die ersten Werke sind noch wissenschaftliche Zeichnungen. Dann malt sie vor allem idyllische, harmonische Bilder, Stilleben, Landschaften, die bereits in den achtziger Jahren in Lima ausgestellt werden.
Aber erst viele Jahre später in Deutschland, weit weg von ihrer peruanischen Heimat, ist es – wie sie sagt – die Kraft des Heimwehs, die Sehnsucht nach Peru – die die alten Bilder und Fantasien aus ihrem Herzen hervorbrechen lassen. Ihre Kunst wird nun zur Suche nach der eigenen Identität, nach den eigenen Wurzeln. Malen – dass heißt für Henrich zugleich träumen und schöpfen.
Sie versteht ihre Bilder auch als Hommage an „ihr“ Peru, an die Menschen, die einst in Nazca gelebt haben und mit den Erdzeichnungen eine Botschaft gesetzt haben, die die Zeiten überdauert hat. Nicht zuletzt sind ihre Bilder auch der berühmten Nazca-Forscherin Maria Reiche gewidmet, ohne diese „Heldin der Wüste“ würde es die meisten der mittlerweile von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten „Nazca-Linien“ heute wohl nicht mehr geben.