Visionäre Sammlung Vol. 17: Harry Fränkel
Bis 29. Januar 2012
Im Rahmen der Ausstellungsreihe «Visionäre Sammlung» zeigt Haus Konstruktiv
anlässlich des 100. Geburtstags von Harry Fränkel (1911 in Dortmund–1970 in
Bochum) eine Auswahl aus dessen druckgrafischen OEuvre. Alle ausgestellten
52 Werke gehören zu einem umfangreichen Konvolut, das durch die grosszügige
Schenkung von Renate Thiemann 2008 in die Sammlung des Haus Konstruktiv
aufgenommen werden konnte. Ausgehend vom figurativen Expressionismus ent-
wickelte Fränkel ein überraschend vielseitiges Werk, das neben abstrakt-expres-
sionistischen Arbeiten auch stark farbig angelegte Kompositionen aus rein geo-
metrischen Formen umfasst.
Harry Fränkel wird am 15. November 1911 in Dortmund als Sohn eines jüdischen
Kaufmanns geboren. Von 1928 bis 1931 geht er auf die Dortmunder Kunstgewer-
beschule, lässt sich zum technischen Zeichner ausbilden und möchte dann im
Anschluss auf die Kunstakademie in Düsseldorf wechseln. Doch der 30. Januar
1933 ändert alles: Nach der sogenannten «Machtübernahme» durch die National-
sozialisten beginnt für Fränkel eine folgenschwere Zeit. Als «Halbjude», wie es
die Nationalsozialisten in ihren Hetzreden formulieren, bekommt er kaum noch
Arbeit und schlägt sich, so erinnert er sich später, «von Dachkammer zu Dach-
kammer» durch. Im Oktober 1944 kommt Fränkel in ein Arbeitslager bei Kassel,
das im Mai 1945 durch die Amerikaner befreit wird. Sein Vater aber wird von
den Nationalsozialisten in Auschwitz ermordet.
Harry Fränkel kehrt nach Dortmund zurück, gibt seinen bürgerlichen Beruf als
technischer Zeichner auf und arbeitet fortan als Pressezeichner. Vor allem aber
beginnt er wieder, künstlerisch zu arbeiten. 1953 ist er dabei, als sich die «Künst-
lergruppe Niederrhein 53» zusammenschliesst (später Gruppe 53), die anfangs
die abstrakte und gegenstandsfreie Bild- und Formgestaltung als Ziel ihres Wir-
kens sieht. Am 28. April 1970 stirbt Harry Fränkel an den Folgen seiner Krebser-
krankung.
Im Zentrum der Ausstellung stehen vor allem Holzschnitte und Serigrafien aus
der Nachkriegszeit bis in die späten 1960er Jahre. Fränkel arbeitete zwar auch
in Öl und fertigte Collagen, doch bevorzugte er die – für seine vitalen und aus-
drucksstarken Bildfindungen bestens geeignete – Technik des Holzschnitts.
Sein überraschend vielseitiges Werk umfasst neben abstrakt-expressionistischen
Arbeiten mit kräftigen schwarzen Linien und weissen Flächen auch stark farbig
angelegte Kompositionen aus rein geometrischen Formen. Mit dieser Reduktion
der formalen Bildmittel bahnte sich Fränkel seinen Weg von der gegenstandsbe-
zogenen Darstellung zur Formensprache des Konstruktivismus und bis hin zu ei-
ner an die Op Art erinnernden Gestaltungsweise.
In den vier Kabinetten im 4. Stock sind die Werke chronologisch gehängt:
Im ersten Kabinett ist eine Auswahl von Arbeiten zu sehen, die zwischen 1947
und 1956 entstanden. In den Jahren nach 1945 verarbeitet Fränkel immer wie-
der den Schrecken des Krieges und der Verfolgung. Eindrückliche Beispiele da-
für bieten die Blätter «Im Sturm» und «Nicht vergessen» (beide 1948) sowie
«Die Heimatlosen» (1952). Besonders eindrucksvoll ist der Holzschnitt «Agita-
tion» von 1952: In diesem teils abstrakten, teils gegenständlichen Holzschnitt
beschäftigt sich der Künstler mit den Aufmärschen und Propagandareden der
Nationalsozialisten. Er mahnt uns, niemals zu vergessen – und bringt zum Aus-
druck, dass das Individuum nicht in einer namenlosen und entmenschlichten
Masse untergehen darf. Hunger, Verfolgung, Heimatlosigkeit: Die elementaren
Nöte menschlicher Existenz bilden einen wichtigen thematischen Faden durch
das Schaffen Fränkels in den Nachkriegsjahren.
Im zweiten Kabinett hängen Werke aus den Jahren 1956 bis 1962. Zu dieser
Zeit verändert sich das Interessenfeld des Künstlers, er gibt die gegenständliche
Darstellung auf und notiert: «Zwei Dinge sollen künftig nicht mehr vorkommen:
1. Die Nachahmung (Gegenstand) 2. Die Raumillusion. Alles soll sich in der Flä-
che abspielen. (…) Die Malerei soll nichts als Malerei sein.»
Anhand der ausgestellten Blätter lassen sich diese neuen Maxime sehr gut nach-
vollziehen: Fränkel erreicht einen spannungsvollen Umgang mit reinen Farbformen,
mit organoiden, kantigen und geometrischen Elementen. «Verschiedenes vereinigt»
von 1959 kann dabei durchaus als ein für diese Zeit typisches Blatt betrachtet wer-
den. Auffällig sind der collageartige Charakter und die zeittypischen Farben. Es sind
immer wieder Form-Farb-Relationen, die Fränkel interessieren, und wenn er auch
kurz damit liebäugelt, spezifische Regeln für seine Kompositionen aufzustellen, so
entscheidet er sich letztlich doch dafür, dass jede Arbeit aufs Neue ihre eigenen
Massgaben definiert. Dafür, dass diese Bildordnungen trotz des Verzichts auf jed-
weden Gegenstandsbezug eine expressive, eine vermittelnde Qualität besitzen
können, fand Fränkel 1962 folgende Worte: «Auch in der befreiten Malerei ist es
möglich, die subtilsten, nicht mit Worten zu erfassenden Empfindungen auszudrü-
cken.»
Im dritten Kabinett, das Arbeiten von 1962 bis 1968 präsentiert, sind zwei Blätter
zu sehen, in denen sich Harry Fränkel mit dem russischen Suprematismus zu be-
schäftigen scheint: Die Werke «Komposition mit Quadrat und Kreis» und «Kompo-
sition mit rotem Quadrat» (beide 1964) erzeugen eine intensive Spannung zwi-
schen Fläche und Form. Man wird unweigerlich an jene kunsthistorische Periode
erinnert, da Kasimir Malewitsch um 1919/20 als Kunstprofessor an der legendä-
ren und von Marc Chagall gegründeten Kunstschule in Witebsk lehrte.
Die Arbeiten, die Harry Fränkel gegen Ende seines Lebens schuf, mögen vielleicht
eine Idee davon geben, wie es weitergegangen wäre: Über den Weg des Expres-
sionismus und einer darauffolgenden geometrisch-abstrakten Phase hatte er einen
eigenen und auch einzigartigen Umgang mit der konstruktiven und konkreten Form-
welt entwickelt.
Die Grafiken im vierten Kabinett machen dies sehr deutlich: Sie folgen keinen spe-
zifischen Regeln oder Gesetzmässigkeiten, und dennoch stehen sie eindeutig in der
Tradition der konkreten und konstruktiven Kunst. Auffällig ist, dass ihnen ein lyrisch-
poetisches Moment eignet, das u.a. in dem kraftvollen Umgang mit starken Farben
begründet liegt.
Harry Fränkel
Wegkreuz
Druckgrafik, 1956
Holzschnitt auf Papier
Sammlung Haus Konstruktiv
© Haus Konstruktiv / Harry Fränkel
Harry Fränkel
Komposition mit roter Figur
Druckgrafik, 1962
Farbholzschnitt auf Papier
Sammlung Haus Konstruktiv
© Haus Konstruktiv / Harry Fränkel
Harry Fränkel
Komposition mit weissem Feld, 1960
Farbholzschnitt auf Papier
Sammlung Haus Konstruktiv
© Haus Konstruktiv / Harry Fränkel
Harry Fränkel
Mitte licht
Druckgrafik, 1959
Farbholzschnitt auf Papier
Sammlung Haus Konstruktiv
© Haus Konstruktiv / Harry Fränkel