Rolf Schroeter «Kontakt»

Rolf Schroeter «Kontakt»
23. Februar bis 6. Mai 2012

Das umfangreiche Werk von Rolf Schroeter (geb. 1932 in Zürich) ist ein noch weitgehend
ungehobener Schatz: Anlässlich seines 80. Geburtstags würdigt das Museum Haus Konstruktiv
unter dem Titel «Kontakt» Rolf Schroter in einer retrospektiv angelegten Einzelausstellung.
Schroeter, der an der Ulmer Hochschule für Gestaltung visuelle Kommunikation studierte,
startete seine künstlerische Laufbahn mit experimenteller Fotografie und kann in diesem Feld
durchaus als absoluter Geheimtipp erachtet werden: Passion, Perfektion, Präzision – das sind
Begriffe, die Schroeters künstlerisches Schaffen auszeichnen. Seit Mitte der 1950er Jahre ent-
wickelt er ein Gesamtwerk, das neben frühen, von Moholy-Nagy und Man Ray inspirierten Fotogrammen vor allem Fotografien, Mappenwerke und Künstlerbücher umfasst.

Besucht man Rolf Schroeter in seinem Atelier in Zürich-Schlieren und taucht ein in den Schroe-
ter'-schen Kosmos, so fragt man sich unweigerlich: Wo hat dieser Künstler in den letzten Jahr-
zehnten gesteckt? Warum kennt nur eine eingeschworene Fangemeinde in der Schweiz und in
Deutschland sein einzigartiges
Œuvre? Eine Erklärung wird im Gespräch mit Schroeter rasch
deutlich: Der nun fast 80-jährige, ungebrochen vitale Künstler wollte immer unabhängig sein.
Jeglichen Druck, z.B. durch Institutionen oder den Kunstmarkt, lehnte er kategorisch ab.
Schroeter macht bis heute keine Kompromisse. Ohne Frage, Schroeters umfangreiches Werk
ist ein noch weitgehend ungehobener Schatz. Das wollen wir ändern! Die retrospektiv angeleg-
te Einzelausstellung «Kontakt» im Museum Haus Konstruktiv gibt einen intensiven Einblick in
Schroeters aussergewöhnliche Arbeitsweise, die – wie der Titel schon andeutet – auch geprägt
ist von eindrucksvollen Gemeinschaftsprojekten, u.a. mit Otto Piene, Günther Uecker, Eugen
Gomringer oder Richard Jackson. Zur Ausstellung erscheint eine limitierte Sonderedition Trep-
penhaus, 2. Stock).
Die Exponate sind nicht chronologisch gehängt, was auch sinnvoll ist, denn immer wieder greift
der Künstler Motive und Themen auf, mit denen er sich bereits Jahre zuvor beschäftigt hat.
Im grossen Ausstellungssaal auf dem dritten Stock zeigen wir vor allem Schroeters Koopera-
tionsprojekte mit anderen Künstlern und seine ausdrucksstarken Serien der 1990er Jahre, im
vierten Stock präsentieren wir zentrale Beispiele seiner «Experimentellen Fotografie»: Bereits
während seines Studiums in Ulm beschäftigte sich Rolf Schroeter u.a. mit Fotogrammen und
Fotomontagen von László Moholy-Nagy aus den 1920er Jahren und begann Mitte der 1950er
Jahre, seinen eigenen Stil in der experimentellen Fotografie zu entwickeln. Ebenfalls im vier-
ten Stock zeigen wir einige Beispiele seiner Werbefotografie.

Einige wichtige biografische Fakten: Rolf Schroeter wurde 1932 in Zürich geboren. Nach
dem Abschluss seiner Lehre als Dekorateur besucht er 1954–1957 die Hochschule für Gestal-
tung in Ulm und lernt dort u.a. Max Bill (1908–1994) kennen, einen der zentralen Vertreter
der «Zürcher Konkreten» und zugleich Gründungsdirektor der HfG Ulm. Bill ist damals schon
ein international anerkannter Künstler, ein wichtiger Theoretiker, Gestalter und Architekt.
Schroeter studiert bei ihm, assistiert Bill auch später, und als dieser 1957 Ulm verlässt und
nach Zürich zurückkehrt, folgt ihm Rolf Schroeter. 1957/58 ist er Bills Assistent, dann arbeitet
er bei Josef Müller-Brockmann (1914–1996), einem der führenden Theoretiker und Praktiker
der Schweizer Typografie. Von 1958 bis 1962 führt Schroeter zusammen mit Walter Faigle
ein Atelier für visuelle Kommunikation und Fotografie in Zürich und Stuttgart, doch bereits
1960\n gründet er sein eigenes Atelier für Fotografie in Zumikon, das er erst \nvor drei Jahren
aufgegeben hat. Als Fotograf und Gestalter im \nsogenannten angewandten Bereich hat Rolf
Schroeter aussergewöhnliche und hochkarätige Werbekampagnen realisiert, war in den ver-
gangenen Jahrzehnten Gastdozent an verschiedenen Universitäten und zeigte als Künstler
seine Werke in verschiedenen Einzel- und Gruppenausstellungen. Erst kürzlich realisierte er
im Schloss von Leuk-Stadt im Wallis eine konzentrierte Einzelschau, und deshalb sei hier
auch erwähnt, dass Schroeter seit nunmehr über 30 Jahren ein enges Verhältnis zu Leuk-
Stadt pflegt und dort bereits viele Projekte realisiert hat, die wiederum Eingang in sein ge-
samtes
Œuvre finden.

Säulenhalle, 3. Stock: Wenn Sie die grosse Ausstellungshalle im dritten Stock betreten, lau-
fen Sie direkt auf das aktuellste Werk von Rolf Schroeter zu: Es ist die zwischen 2007 und
2011 entstandene Foto-Installation «Aletheia». Anhand dieser komplexen Arbeit lässt sich die
künstlerische Arbeitsweise von Rolf Schroeter beispielhaft erörtern:
Wir zeigen 42 Teile dieser insgesamt 51 Bilder umfassenden Arbeit, mit der Schroeter sich
eigentlich schon in den Jahren 1994–1997 zu beschäftigen begann, als er gemeinsam mit
seinem Künstlerkollegen Günther Uecker mehrmals die Halbinsel Wustrow bereiste. Uecker,
der auf Wustrow aufgewachsen ist und die Insel gut kennt, hatte Schroeter auf diesen aus-
sergewöhnlichen Ort aufmerksam gemacht. Die Geschichte von Wustrow ist sehr bewegt und
schreibt ein dunkles Kapitel in der Chronik von Deutschland und Russland: Seit 1273 gehörte
die Halbinsel als landwirtschaftliches Gut zahlreichen Besitzern, doch 1933 wurde sie von der
Familie von Plessen an die Deutsche Reichswehr verkauft. Aufgrund der strategisch guten
Lage in der Mecklenburger Bucht entstand dort unter dem nationalsozialistischen Regime
Deutschlands grösste Flakartillerieschule. Nach Kriegsende diente die Insel kurze Zeit Tau-
senden von Flüchtlingen als Unterkunft und geriet dann 1949 unter sowjetische Militärfüh-
rung. Im Jahr 1993 wurde Wustrow an die Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben und
fünf Jahre später an die Deutsche Immobilienfirma Fundus-Gruppe verkauft. Auf Wustrow
sollte eigentlich ein Freizeitareal entstehen, doch wurde dieses Vorhaben nicht umgesetzt.
Wegen Munitionsbelastung verfügte der Eigentümer 2004, dass die Insel nicht mehr betretbar
ist. Das heisst also, dass es letztendlich nur ein kurzes Zeitfenster gab, in dem man die Insel
als Tourist überhaupt betreten durfte. Schon nach seinem ersten Besuch war Schroeter so
fasziniert von der ruinösen Gesamtsituation, von diesem einerseits historisch stark belasteten,
andererseits auch höchst spannenden Ort, dass er bei seinen zahlreichen folgenden Besuchen
Tausende von Aufnahmen machte.
Schroeter integriert in diese Serie auch kurze Textzitate von Martin Heidegger (1889–1976),
Paul Celan (1920–1970) und Gottfried Benn (1886–1956). Gerade mit Heidegger, für den der
Begriff «Aletheia» ebenfalls eine grosse Bedeutung hatte, beschäftigt sich Schroeter seit vie-
len Jahrzehnten. Dabei ist ihm Heideggers umstrittene Haltung gegenüber der nationalsozialis-
tischen Zeit durchaus bewusst. Doch Schroeter hat sich intensiv mit Heideggers grundlegen-
dem Text «Der Ursprung des Kunstwerks» (1935/36) beschäftigt und teilt die darin vertretene
Ansicht, dass sich im Kunstwerk «die Wahrheit ins Werk» setzt und dass das Wesen der Kunst
darin besteht, dass es Wahrheit stiftet. Der rumänisch-deutsche Philosoph und Heidegger-Spe-
zialist Walter Biemel schrieb anlässlich einer Publikation über Rolf Schroeters Arbeit «Aletheia»:
«Dieser Zerfall hat eine eigentümliche Wirkung, er versetzt uns in eine Stimmung der Trauer.
Die Aufnahmen stossen uns nicht zurück, aber sie betrüben uns, weil sie auch unser Ende, das
wir verdrängen, gegenwärtig machen. Wie wenig bleibt, wenn es nicht mehr behütet wird. Die
Bedeutung der Hut wird uns klar, ein Begriff aus Heideggers Denken, der uns fremd geworden
ist, weil wir nicht mehr die Kraft haben dem\n nachzudenken, was uns behütet und wie das Hüt-
en zu unserem Leben \ngehört, wenn es menschlich sein soll. (…) Es sind besinnliche Bilder, \nso-
wohl die der Natur wie die des menschlichen Wirkens und Verfallens. Aber es sind nicht Bilder,
die uns auf die Sinnlichkeit festnageln, obwohl sie über die Sinnlichkeit empfangen werden.»

Aufgrund der integrierten Textzitate bekommt die Serie «Aletheia» eine stark reflexive Dimen-
sion: Dadurch, dass man auch mit geschriebenen Ideen konfrontiert wird, erweitern sich die
Möglichkeiten eines gedanklichen Zuganges zu dieser Foto-Serie. Auch taucht in den Zitaten
eine kurze Textstelle aus Paul Celans berühmtem Gedicht «Todesfuge» auf, das der Lyriker
zwischen 1944 und 1945 verfasst hat. Celan, der aus einer deutsch-jüdischen Familie aus
Czernowitz stammte, hat sich in diesem Gedicht auf mehreren Ebenen – einer musikalischen
Fuge gleich – eindrücklich dem erschütternden Thema der Ermordung der Juden durch die
Nationalsozialisten genähert. Dass Schroeter Celan zitiert, spiegelt nicht zuletzt sein eigenes
Interesse an einer ästhetisch und inhaltlich vernetzten Struktur wider: Die komplexe Themen-
verarbeitung im musikalischen Kompositionsprinzip der Fuge entspricht genau der Arbeitswei-
se von Rolf Schroeter. Auch er verbindet immer wieder verschiedene Phasen seiner eigenen
künstlerischen Produktion mit neuen Aspekten, durch die sich seine jeweiligen Motive verwan-
deln und erweitern. Ein Beispiel: Der Sonnenuntergang erscheint erst einmal neutral und im
Kontext der Inhalte von «Aletheia» geradezu versöhnlich, wohingegen das von Schroeter ge-
wählte Zitat aus Celans «Todesfuge» genau an jenem Punkt nicht locker lässt, an dem es da-
rum geht, niemals zu vergessen. Mit anderen Worten: Schroeter verbindet eine wertfreie mit
einer wertenden Sicht auf die Welt. Ein Denken ohne Geländer – wie es die Philosophin Han-
nah Arendt (1906–1975) einmal ausdrückte – und die Bewusstmachung moralischer Werte
finden gleichzeitig Eingang in die Arbeit «Aletheia»

Wie zu Beginn bereits erwähnt, hat Rolf Schroeter immer wieder die Zusammenarbeit mit Kün-
stlerkollegen gesucht. Die Werkgruppen «Die Lichtung» (beim Betreten der Halle rechter Hand),
«Entstehung eines Werkes» (linker Hand) oder auch «Sensibilia» (im kleinen Kabinett rechts
hinten) geben dafür hervorragende Beispiele.
Schroeter und Uecker hatten sich bereits Anfang der 1960er Jahre kennengelernt, kurz nach-
dem Uecker Mitglied in der von Heinz Mack und Otto Piene 1958 gegründeten Künstlergruppe
ZERO wurde. Die Mitglieder von ZERO wollten, nach den verheerenden Jahren des Zweiten
Weltkriegs, bei „null“ beginnen. Doch nicht als eine Form von Nihilismus, sondern als eine Art
Bekenntnis zu einer neuen, positiveren Lebensauffassung. Schroeter interessierte dieser An-
satz, und so befreundete er sich auch mit Otto Piene, dessen künstlerische Experimente er
fotografisch festhielt (Eingang Säulenhalle, linker Hand).
Die Ausstellung «Kontakt» macht deutlich, dass Schroeter schon sehr früh an der experimentel-
len Kraft des Mediums Fotografie interessiert war, an der Fragestellung, was ein Foto aussagt
und wie die Bildwirklichkeit interpretiert wird.
In den ersten beiden Kabinetten (4. Stock) sehen Sie eine Auswahl von schwarz-weissen
und farbigen Fotogrammen, die 1954–1956 entstanden sind. In dieser Zeit studierte Schroe-
ter noch in Ulm und beschäftigte sich mit dem Thema der fliessenden Formen. Für seine
Fotogramme hat er Leinenöl und Farbe zwischen zwei Glasplatten gepresst und die daraus
hervorgehenden, Formen auf Fotopapier belichtet. Ein Fotogramm ist also keine Fotografie
im herkömmlichen Sinne, es wird kein Fotoapparat benutzt. Als Vorlage für die Produktion
der Tapete im ersten Kabinett haben wir ebenfalls ein Motiv aus dieser damaligen Werkserie
verwendet.
Im dritten Kabinett zeigen wir die Gruppe der «Kollaraturen» aus den Jahren 1956 bis 1974.
Schroeter hat für\n diese Arbeiten die 1932 fertiggestellten Kirchenfenster von Augusto \nGiaco-
metti im Grossmünster Zürich fotografiert. Doch haben wir es hier \nnicht etwa mit einer reinen
Dokumentationsfotografie zu tun, sondern können vielmehr von konkreter oder experimentel-
ler Fotografie sprechen. Seit Mitte der 1960er Jahre etablierte sich der Begriff der «konkreten
Fotografie» als Bezeichnung für eine eigenständige Kunstgattung. Im Zentrum steht nicht die
gegenständliche Abbildung der Wirklichkeit, sondern der fotografische Prozess und das Erfor-
schen der fotografischen Möglichkeiten. Durch das Zusammenspiel der Kenntnisse über Ver-
schlusszeiten, Schärfentiefe, die Wirkung des Lichts, bewusstes Verwackeln, Doppelbelich-
tungen oder auch den Einsatz klassischer Labortechniken entstehen Bilder, die teilweise noch
an das abgelichtete Sujet erinnern, teilweise aber auch ein ganz neue und autonome Bildwir-
klichkeit schaffen. In der Serie der «Kolleraturen » hat Schroeter all diese Techniken einge-
setzt, und so ist eine atmosphärisch starke Auseinandersetzung mit den Kirchenfenstern von
Giacometti entstanden. Dies ist vor allem auch bemerkenswert, schaut man sich die abstrakt-
konkreten Bilder von Augusto Giacometti aus den Jahren um 1900 an: Wie Schroeters Foto-
grafien changieren sie zwischen einer gegenständlichen und abstrakten Behandlung der Wirk-
lichkeit. Dies wird auch deutlich im nächsten Kabinett: Dort zeigen wir Rolf Schroeters Werk-
serie «Wahrnehmung einer Brücke» von 1956–1960. Es ist eine der wenigen Serien, deren
Abfolge Schroeter präzise festgelegt hat; sie beginnt links in der Ecke mit einer noch gegen-
ständlich anmutenden Aufnahme und endet mit einer ähnlichen Aufnahme, jedoch im umge-
kehrten Schwarz-Weiss-Kontrast. Max Bense, der zu dieser Zeit an der Ulmer Hochschule do-
zierte, schrieb einen pointierten Text über diese Arbeit; daraus ein kurzes Zitat:
«(…) wahrnehmungen einer brücke als fotografischer prozess, als künstlicher, nicht als natür-
licher vorgang, wie man sagen möchte, wenn man hier schon die technik ganz sich selbst über-
lassen könnte. doch das ist nicht der fall. sie ist hier rolf schroeter ausgeliefert. er bestimmte
die standorte, die bewegungen, er wählte den blick der kamera, begrenzte seine dauer, seine
öffnung, seine winkel; er war also unvermeidlich. fotografieren heisst wahrnehmbares nur
durch wahrnehmbares, nicht durch bedeutungen auszudrücken. (…)»
Im letzten Kabinett zeigen wir die Arbeit «Zerstörte Informationen», 1984–1994. Auf seinen
zahlreichen Reisen durch die verschiedenen Kontinente hat Rolf Schroeter während zehn Jah-
ren immer wieder Häuser- und Plakatwände fotografiert, auf denen die Reste früherer Plakate,
Pamphlete und, Slogans von einmal Gewesenem erzählen. Die durchaus an Mimmo Rotellas
Decollagen erinnernden Fotografien zeigen Versatzstücke aus der Wirklichkeit, die überall
stattfindet. Das Bruchstückhafte der Motive ist es, das alle Orte zusammenführt.
Rolf Schroeter
Ausstellungsansicht, "Die Lichtung", 1994-1996/2012
(in Zusammenarbeit mit Günther Uecker)
Foto: Stefan Altenburger
Rolf Schroeter
Ausstellungsansicht, Koloraturen, 1956-1974
Farbfotografie, Cibachrome Print, aufgezogen
auf Aluminium
Foto: Stefan Altenburger
Rolf Schroeter
Ausstellungsansicht, Forogramme, 1954-1956
Schwarzweissfotografie, Silbergelatine-Abzug,
aufgezogen auf Aluminium
Foto: Stefan Altenburger
Rolf Schroeter
Ausstellungsansicht, Zerstörte Informationen, 1984-1994
Farbfotografie, Cibachrome Print, aufgezogen auf Aluminium
Foto: Stefan Altenburger
Rolf Schroeter
Ausstellungsansicht
Foto: Stefan Altenburger