San Keller
Spoken Work
11. Mai 2012 – 1. Juli 2012
San Keller (*1971 in Bern) ist einer der bekanntesten Schweizer Künstler – und vielleicht der
gesprächigste: Der Dialog ist die Keimzelle seiner künstlerischen Arbeitsweise. Kaum ein Ge-
sprächsformat – vom Verkaufsdialog bis zum Verhör – das der Konzept- und Aktionskünstler
nicht bereits in eine Arbeit einfliessen liess. «Spoken Work», die erste Einzelausstellung des
Künstlers in einer Zürcher Institution, würdigt Kellers bereits sehr umfangreiches Gesamtwerk
als ein gesprochenes. Ein Werk, bei dem aber der Künstler, so zeigen gerade die neuesten
Arbeiten, immer weniger selbst das Sagen hat. Dafür seine vielfältigen Gesprächspartnerin-
nen und -partner umso mehr.
Berufsbild-Meditation, Aktion im Priora Business Center in Kloten 2012
Aktion im Kiosk an der
Kalkbreitestr. 33 in Zürich, 2010
Einem breiteren Publikum ist San Keller als Dienstleistungskünstler bekannt: Er hat schon für
Berufstätige an ihrem Arbeitsplatz geschlafen, zum Beispiel unter dem Moderationstisch der
News-Sendung «10 vor 10», oder BesucherInnen die Treppe des Kunsthaus Zürich hochgetra-
gen. In den letzten Jahren jedoch hat Keller sein Werk signifikant weiterentwickelt – und ist
quasi sozial aufgestiegen: vom dienstleistenden zum delegierenden Künstler. Keller stellt sich
weniger als Performer selbst in den Mittelpunkt; seine Arbeit besteht zunehmend darin, ein
Zentrum gesteigerter Aufmerksamkeit zu definieren, auf dem seine ProjektpartnerInnen aktiv
werden können. Früher lauteten seine Werktitel etwa «San Keller trägt Sie hoch zur Kunst»,
heute ist Kellers Name aus den Titeln gänzlich verschwunden.
Für die Fotoserie «Cuckoo (At Work)» liess sich Keller noch 2009 dabei ablichten, wie er in
den Ateliers befreundeter Künstler Hand an deren Werke anlegte – und damit gleichzeitig den
oft verkrampften Fetisch der individuellen Künstlerhandschrift ansprach. Im November 2011
liess er im Gegensatz dazu Künstlerinnen und Künstler den von ihm gemieteten Stand zum Be-
ruf des bildenden Künstlers an der Berufsmesse Zürich betreuen.
Der Künstlerberuf als Zukunftsmodell?
Neben anderen sahen sich so der Zürcher Christian Vetter oder der Basler Pedro Wirz mit dem
Auftrag konfrontiert, ihren Beruf im Kontext von bodenständigen Metiers wie Gärtner oder Bäcker
zu positionieren und zu den bohrenden Fragen fast sämtlicher Oberstufenschüler des Kantons
Stellung zu nehmen. Das Künstlerbild war aber in diesem Kontext nicht etwa nur Kuriosum, son-
dern auch ein mögliches Zukunftsmodell: Während zum Beispiel das Handwerk in unserer Wis-
sensgesellschaft immer mehr an Wert verliert, bietet die Kunst einen Kontext, der Handgearbei-
tetes wertschätzt – und teuer verkäuflich macht. Ein Umfeld auch, das einen freien und kritischen
Umgang mit ungewöhnlichen Materialien erlaubt: San Kellers eigenes Arbeitsmaterial etwa ist
der Dialog, sein Werk ist Beziehungsarbeit – im wörtlichen Sinne einer relationalen Ästhetik, wie
sie vor allem durch die sozial orientierten Arbeiten von Künstlern in den 90er Jahren populär wur-
de –, und sein Medium ist der Mensch.
Der Werkkomplex «Der Beruf des bildenden Künstlers» kann als Modell für Kellers Arbeitsweise
gelten: Die Einladung zu einer Einzelausstellung hat er im November 2011 zum Anlass genom-
men, Künstlerkollegen an die Berufsmesse einzuladen – ein Prolog zur Schau im Helmhaus Zü-
rich, die von Daniel Morgenthaler kuratiert wird. In Vorbereitung darauf hat er weitere Künstler
aufgefordert, verbindliche Werte für den Beruf zu definieren, die in ein an der Messe präsentier-
tes Manifest einflossen. Die Vielstimmigkeit dieses beliebig geratenen Manifests wiederum führ-
te zu einer nächsten Aktion: Statt zu einer herkömmlichen Diskussion versammelte Keller dies-
mal weitere BerufskollegInnen zu einer gemeinsamen Meditation in einem Klotener Business-
Center.
Erneut fanden sich die Künstler in einer sehr ungewohnten Situation. Wieder konnten sie nicht
einfach ihre individuellen künstlerischen Fähigkeiten ausspielen, sondern waren angehalten, im
Kollektiv über den Beruf des bildenden Künstlers nachzudenken. Eine Spezialität von Künstlern,
das Finden einer bildlichen Lösung, wurde von San Keller outgesourct: Das Zürcher Grafikbüro
NORM war über Skype Zeuge der Meditation und übersetzte den künstlerischen Input der Medi-
tation in Bilder.
Die Intimität der Situation und die Abgeschlossenheit der Business-Atmosphäre sind im 2. Stock
des Helmhaus Zürich auf einer grossflächigen Videoproduktion nachzuvollziehen. Die Arbeit der
Grafiker bleibt aber keineswegs eine Art internes Protokoll dieser unorthodoxen Sitzung. Im Ge-
genteil: Die Bildlösungen spielen viel eher die Rolle einer Repräsentation des Künstlerberufs ge-
gen aussen. Auf Fahnenstoff gedruckt, hängen sie während der Ausstellungsdauer an der Fas-
sade des Helmhaus.
Die perforierte Institution
Keller hat schon während der Berufsmesse-Aktion – die in der Schau ebenfalls filmisch dokumen-
tiert wird – den Beruf des bildenden Künstlers ganz buchstäblich in einem weiteren gesellschaftli-
chen Kontext platziert. Durch die Flaggen am Helmhaus perforiert er nun auch die Fassade der
Institution: Das von San Keller angestossene und über mehrere Stufen getragene Gespräch fin-
det über die weitherum sichtbaren Bilder nach draussen, in das unmittelbare soziale und urbane
Umfeld des Helmhaus. Der öffentliche Raum um das Haus herum wird so zum Forum – in Anleh-
nung an den Mittelpunkt des politischen Lebens in der Antike – für weitere ausformulierte und
stumme Dialoge: Über das Künstlerbild, über den öffentlichen Raum, oder über die Politik der
Bilder. Dialoge, die ebenfalls integral zum titelgebenden «Spoken Work» von San Kellers Ausstel-
lung gehören.
Im Gegensatz zu einem herkömmlichen Kunstwerk hat ein «Spoken Work» Kellerscher Ausprä-
gung keinen einzelnen Autor, keine eindeutige Form, und keinen vordefinierten Ausgang – poten-
ziell sogar gar kein Ende. Ganz ähnlich wie der politische Dialog, der im Helmhaus in der Arbeit
«Exil-Parlament» von 2010/11 aufgenommen wird: Er folgt zwar ganz bestimmten Regeln, sein
Resultat muss aber in einer demokratischen Gesellschaft zwingend permanent offen bleiben.
Auch San Kellers «Spoken Works» folgen einer durch ihn vorgegebenen Struktur, ihr Ausgang
bleibt jedoch fundamental unberechenbar.
Damit sind seine Arbeiten, deren zehn im Helmhaus zu sehen sind, immer auch eine Einladung
zum Mitmachen. Gerade die in einem Zwischenraum flatternden Fahnen – zwischen innen und
aussen, zwischen Institution und Gesellschaft, zwischen Bild und Voraussetzung zum Bild – for-
dern explizit zum Mitdenken auf: Keller delegiert nicht nur an seine Berufskollegen, sondern auch
an die Betrachterinnen und Betrachter. Und zwar nicht, um stur das Knowhow anderer für die
Erreichung eigener Ziele auszunutzen. Sondern um das Kunstwerk zu öffnen und zu einem Fo-
rum für aktive – dadurch in ihrer Freiheit bestärkte – Individuen zu machen.
Im Rahmen der Ausstellung finden Konzerte und Gespräche statt. Wenige Tage nach der Ver-
nissage, am 16. Mai, spielt Stini Arn. Sie taucht mit Tonabnehmern in die Mikrowelt der Dinge
und macht diese zu Mitspielern einer «étude ritardando», bei der die Zeit zum Stehen kommt.
Am zweitletzten Tag der Ausstellung dann, am Samstag 30. Juni, tritt der Zürcher Spoken-Word-
Pionier Jurczok 1001 auf. Jurczok ist Dichter, Sänger, MC und Loopkünstler. Im Helmhaus tauft
er die nur mit seiner Stimme produzierte Coverversion des Johnny Cash-Klassikers «Hurt».
Vier Veranstaltungen sind als Gespräche angelegt, die das Sprechen selbst thematisieren und
sich mit dem Dialog zwischen Ausstellung, Künstler und BesucherInnen beschäftigen. «Werden
Sie Instrument!», fordert der freie Kurator Stefan Wagner die Anwesenden bei einer Führung
durch die Ausstellung am 20. Mai auf. Ein «Gespräch übers Gespräch» wird in einer Diskussions-
runde am 23. Mai geführt und thematisiert gleichzeitig die zur Ausstellung erscheinende Mai-Aus-
gabe der Fabrikzeitung. Am 10. Juni dann findet das Gespräch an einem überraschenden Ort statt:
Im Stadtbad im Volkshaus unterhält sich Daniel Morgenthaler, Kurator der Ausstellung, mit dem
Künstler San Keller. Gleichentags stellt Keller eine neu erscheinende Publikation zum Projekt «Tem-
porärer Realismus» vor, bei dem 27 Künstlerkollegen in einem leerstehenden Zürcher Kiosk Bücher
anboten. Und am 14. Juni schliesslich gibt der Grafiker und Psychologe Ivan Sterzinger eine kritische
Führung durch die Ausstellung: Er verwendet dazu den Zeigestab, den San Keller selbst für kritische
Rundgänge durch Ausstellungen anderer Künstler eingesetzt hat.