Serge Stauffer – kunst als forschung

serge stauffer – kunst als forschung
15. Februar bis 14. April 2013


Erstmals gibt eine Ausstellung Einblick in Leben und Werk des bedeutenden Schweizer Künstlers,
Kunsttheoretikers und Duchamp-Kenners Serge Stauffer (1929–1989). Als Mitbegründer der Kunst-
schule F+F hat Serge Stauffer eine ganze Generation von Studierenden geprägt. Die Ausstellung
zeigt Arbeiten von Stauffer und seinem Umfeld und erlaubt so einen neuen Blick auf künstlerische
Experimente der 1950er bis 1970er Jahre und auf eine in Zürich betriebene unkonventionelle Kunst-
praxis mit internationaler Ausstrahlung.

Die Ausstellung enthält als besondere Überraschung im grössten Raum eine Landschaft mit 216
Würfeln, die von den Besucherinnen und Besuchern zusammengeschoben, gestapelt und als Sitz-
gelegenheit genutzt werden können. Dieses Konzept folgt einer von Stauffer selber entworfenen
Würfel-Version seines Kombinationsspiels jardin public (1960) und wurde von Hand für diese Aus-
stellung angefertigt. So entsteht ein verspielter Aufenthalts- und Spielraum – auch Kinder sind
herzlich willkommen!
In einem ersten Teil zeigt die \nAusstellung Arbeiten aus der Zeit von 1950–65. Stauffer und seine
Frau \nDoris lernten von 1952–55 eine sachlich geprägte Fotografie bei Hans \nFinsler und Alfred
Willimann an der damaligen Kunstgewerbeschule, heute \nZürcher Hochschule der Künste (ZHdK).
Auch arbeitete Stauffer im \nGrafikatelier von Josef Müller-Brockmann oder als Assistent von Max
\nBill. Im Gegensatz dazu standen Stauffers Interesse für den \nSurrealismus, das er mit André
Thomkins teilte, und der Beginn seiner \nAuseinandersetzung mit Marcel Duchamp. Als Stauffer
1957–64 selber an \nder Fotoklasse lehrte, interessierte er sich für die aktuelle Avantgarde\n wie
Fluxus oder die Wiener Gruppe. Trotzdem sind seine Arbeiten dieser \nZeit, wie die Studie zu
geometrisch-optischen Täuschungen oder das \nKombinationsspiel jardin public, formal schnör-
kellos und sachlich.

Mit\n der von Stauffer und Hansjörg Mattmüller 1965 an der Kunstgewerbeschule\n gegründeten
Klasse «Form und Farbe» (F+F) beginnt der zweite Teil der \nAusstellung. Die Klasse orientierte
sich, wie Arbeiten von Ellen Classen\n oder Bendicht Fivian zeigen, am ehesten an der Pop Art.
Spätestens ab \n1969, mit dem von Doris Stauffer eingeführten Kurs «Teamwork», wurden \nHap-
pening und politisches Engagement – vor allem für die \nFrauenbefreiungsbewegung (FBB) –
wichtig. Dieses Engagement gipfelte \n1970 im Protest und Austritt von Lehrern und Schülern
aus der \nrestriktiven Kunstgewerbeschule. Ab 1971 entstand an der neu gegründeten\n «F+F
Schule für experimentelle Gestaltung Zürich» ein Raum, wo freie \nGestaltungspädagogik ent-
wickelt und erprobt werden konnte.

Im \ndritten Teil der Ausstellung wird anschaulich, wie Stauffer als \nMitbegründer und Lehrer der
F+F seine Ideen zu Kunst als Forschung zu \neiner eigenständigen Theorie entwickelte. Diese aus
praktischer \nErfahrung genährte Theorie hätte durch ihre systemkritische, soziale, \npsychologi-
sche und ideologiekritische Ausrichtung eine wertvolle Basis \nfür damalige Kunst-Forschung bie-
ten können, wie sie etwa das \nbritisch-amerikanische Kollektiv Art & Language betrieb, und sie
\nentsprach auch der Offenheit der 1970er-Jahre für individuelle \nWeltentwürfe. So lieferte Stauf-
fers Ansatz zwar das Fundament für die \nF+F als Kunstlabor und wurde von Schülern wie Ruedi
Bechtler, Liliane \nCsuka, Rudolf de Crignis, Max Frei (ALMA), Christina Kubisch oder \nKlaudia Schif-
ferle aufgegriffen – mangels Publizität wurde er sonst aber\n kaum rezipiert.

Die rückblickende Auseinandersetzung zeigt, \ndass Stauffer seine gesamte Arbeit als Lehrer und
Schulleiter, aber auch\n als Vortragender und Performer, Übersetzer und Publizist, wie auch sein
\n eigenes bildnerisches Schaffen, seine Dichtungen und Tagebücher und \nsein Engagement für die
Männeremanzipation gleichwertig als Teil seiner \nArbeit als forschender Künstler verstand. Dieses
spektrale Bild eines \nKünstlers, heute von vielen Künstlerinnen und Künstlern so praktiziert, \nwar
für die damalige Zeit visionär. Entsprechend übersetzte Stauffer \nakribisch die Texte von Duchamp,
da in diesen erst klar wurde, wie sehr \nDuchamp die Grenzen und Möglichkeiten der Kunst ausge-
lotet und erörtert \nhatte – ein Kunst-Forscher par excellence.
Für die Zukunft stellt \nsich deshalb im letzten und vierten Teil der Ausstellung die Frage, wie \ndie
momentan breit diskutierte künstlerische Forschung die Arbeit von \nStauffer fruchtbar machen
kann. Aktuelle Forschungsprojekte der \nehemaligen Stauffer-Schüler M. Vänçi Stirnemann und
Reinhard Storz \nveranschaulichen beispielhaft die völlig unterschiedlichen Bedingungen \nder heu-
tigen institutionalisierten Forschung im Gegensatz zum damaligen \nutopischen Raum an der F+F.
Diese Fragen greift auch das Symposium \n«Visionäres Kunstlabor» auf, das in der Ausstellung
stattfindet.

Voraussetzung\n für die Eröffnung einer solchen Diskussion ist der Zugang zu Texten von\n Stauffer.
Deshalb erscheint zur Ausstellung im Verlag Scheidegger &\n Spiess eine Anthologie von Texten
Stauffers, mit seinen Ideen zu Kunst \nals Forschung und deren Kontext. Die Abbildungen in der
Publikation wie \ndie gesamte Ausstellung zeigen, wie vielfältig eine forschende \nKunstpraxis aus-
sehen konnte und wie lebendig und unvermittelt die \nArbeiten noch heute wirken.

Michael Hiltbrunner, Kurator
Serge-Stauffer
Serge-Stauffer
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