Vom 20. Februar bis 10. Mai 2015 widmet das Kunsthaus Zürich einem der faszinierendsten
Kapitel der französischen Kunst eine grosse Ausstellung. «Monet, Gauguin, van Gogh … Inspi-
ration Japan» heisst die hochkarätige Schau, die mit mehr als 300 Gemälden, Holzschnitten
und Kunstgegenständen europäischer und japanischer Meister das Bild vermittelt, das Europa
im 19. Jahrhundert von Japan hatte.
Die japanische Kunst ist für die Entwicklung der Moderne von grundlegender Bedeutung. Na-
hezu alle grossen Meister der französischen Malerei haben sich von japanischen Bildmotiven
und Stilmitteln begeistern und inspirieren lassen: Sie stellten aus Japan importierte Kunst in
ihren Werken dar, interpretierten japanische Bildsujets und verinnerlichten die Bildsprache
des japanischen Holzschnitts. Dieser schöpferische Prozess wirkte weit ins 20. Jahrhundert
hinein. Im Fokus der Ausstellung steht der Zeitraum zwischen 1860 und 1910, der Anfangs-
und der Hochphase des «Japonisme» in Frankreich. Gemälde und Druckgrafiken der wichtigs-
ten Künstler jener Zeit stehen im Dialog mit Farbholzschnitten und kostbaren Kunstgegen-
ständen japanischer Meister. Reisefotografien, Gefässe, Kimonos, Fächer und Bücher aus
weltbekannten Sammlungen wie dem Van Gogh Museum Amsterdam, Metropolitan Museum
of Art, Musée d’Orsay, State Pushkin Museum, der Tate und der Stiftung Sammlung E. G.
Bührle bilden eine Brücke von der Kunst zum Design, vom Rituellen zum Alltäglichen.
DARSTELLUNG, ÜBERTRAGUNG, VERINNERLICHUNG
Der «Japonisme» steht für eine geradezu manische Leidenschaft für die japanische Kunst
und Kultur, die sich nach der im Jahre 1854 von den Amerikanern erzwungenen Öffnung
Japans in Frankreich zu manifestieren begann. Drei verschiedene Arten der künstlerischen
Beschäftigung mit Japan werden vorgestellt: die Darstellung japanischer Gegenstände und
Motive in den Werken westlicher Künstler, die Übertragung und Interpretation japanisch
inspirierter Bildthemen und Formen sowie die Verinnerlichung japanischer Stilmittel und
Techniken.
FRAUEN, BERGE, BLUMEN UND DAS MEER
So zeigt sich die damalige Begeisterung für Japan einmal darin, dass die Künstler aus Japan
importierte Kunst, Objekte und Blumen in ihren Gemälden darstellten oder, wie van Gogh,
japanische Farbholzschnitte in die Malerei übertrugen. Ihre Art der Darstellung bleibt dabei
der europäischen Traditionverpflichtet. Die fremden Sujets und Kompositionselemente der
japanischen Holzschnitte zeigten ihnen eine Alternative zu der bislang in der europäischen
Kunst gültigen Ästhetik auf. Die Auseinandersetzung mit der raffinierten, hochentwickelten
Bildwelt des japanischen Holzschnitts inspirierte die Künstler dazu, für die Darstellung ihrer
eigenen Lebenswelt neue Bildformen zu erproben und Entsprechungen für den Reichtum
und die Strenge der japanischen Vorbilder zu entwickeln. Sie adaptieren japanische Bild-
themen für ihre eigenen Werke (so Frauen bei der Toilette, Wellen oder Felsen im Meer).
Inspiriert von der seriellen Darstellung eines Motivs (Berg Fuji, Brücken, Wasserfälle u. a.)
im Werk von Katsushika Hokusai oder Utagawa Hiroshige begannen Künstler wie Gustave
Courbet, Claude Monet, Paul Cézanne und Henri Rivière ebenfalls, ein und dasselbe Sujet
unablässig darzustellen und im Falle Courbets und Monets auch als Serie auszustellen.
KOMPOSITIONSMITTEL NEU INTERPRETIERT
Zu den wichtigsten Kompositionsmitteln, die im Westen neu interpretiert wurden, zählen
die flächenhafte Gegenüberstellung von Vorder- und Hintergrund, die steile Auf- oder Un-
tersicht, die Beschneidung der Hauptmotive durch den Bildrand, diagonale Bildelemente,
die Vereinfachung der Formen durch grosse, kompakte Farbflächen und betonte Kontu-
ren, die asymmetrische Anordnung der Bildelemente, eine dekorative Anlage des Bild-
raumes sowie extrem vertikale oder horizontale Formate. Viele Künstler bewunderten
die leuchtend kräftigen, höchst nuancierten Farben der Holzschnitte und übernahmen sie,
wie etwa Vincent van Gogh. Auffällig ist, dass die Bildästhetik des japanischen Farbholz-
schnittes zunächst auf die Malerei angewandt und erst von der nachfolgenden Künstler-
generation auch in die Grafik übernommen wurde. Insbesondere Toulouse-Lautrec, Rivière,
Cassatt und Vallotton verhalfen den Drucktechniken in der Orientierung an den japanischen
Vorbildern zu neuem Ansehen. Monet schliesslich gestaltete 1893 seinen Garten in Giverny
mit Seerosenteich und Brücke nach japanischen Farbholzschnitten. Auch die Bepflanzung
war fernöstlich inspiriert: es wuchsen Schwertlilien, Glyzinien, Azaleen und Chrysanthe-
men. Hier entstanden die Seerosenbilder, die zu den Meisterwerken des frühen 20. Jahr-
hunderts zählen und nachfolgende Künstlergenerationen geprägt haben. Sie wären ohne
die Auseinandersetzung mit der japanischen Kunst nicht denkbar. Entsprechende Bildthe-
men oder Stilmittel lassen sich zwar auch in der früheren europäischen Kunst finden, doch
da die Holzschnitte und Alben in Frankreich omnipräsent waren, kommt den Japanern die
Impuls gebende Rolle als «Augenöffner» zu.
WERTVOLLE OBJEKTE VON KÜNSTLERN SELBST GESAMMELT
Fast alle Künstler, die sich von der fernöstlichen Bildwelt und Formensprache inspirieren
liessen, sammelten selbst Kunst aus Japan, insbesondere Farbholzschnitte des «ukiyo-e».
Diese waren damals für wenig Geld erhältlich – heute werden sie als Meisterwerke ihrer
Zeit für hohe Summen gehandelt. Einige der in der Ausstellung gezeigten japanischen
Farbholzschnitte stammen denn auch aus Künstlersammlungen des 19. Jahrhunderts.
Parallel zur bildenden Kunst übernahm auch die angewandte Kunst Anregungen von im-
portierten Keramiken, Lackobjekten, Fächern und Wandschirmen. Nicht nur Künstler wie
Émile Gallé, François-Eugène Rousseau, Jean Carriès oder Paul Jeanneney schöpften da-
raus Inspiration für Motivik und Form, sondern auch Edgar Degas, Pierre Bonnard, Mau-
rice Denis, Félix Vallotton und Auguste Rodin. Auch was das Arbeiten mit bislang eher
vernachlässigten Materialien wie dem Steinzeug in der angewandten Kunst angeht, spiel-
te Japan im Werk von Künstlern wie Jean Carriès und Paul Jeanneney als Stimulus eine
zentrale Rolle.
ERSTE AUSSTELLUNG SEIT 45 JAHREN
Ein erst seit wenigen Jahren in den Fokus der europäischen Kunstgeschichte gerücktes
Thema ist dasjenige des «erotischen Japonisme», dem in dieser Ausstellung in Gestalt
einer Gegenüberstellung von hocherotischen «shunga» (Frühlingsbildern) und Pablo Pi-
cassos Druckgrafik Platz eingeräumt wird. Der Grossteil der gezeigten japanischen Objek-
te stammt aus dem Museum Folkwang in Essen – ein Bestand, der fast gänzlich unbe-
kannt ist. Ein Blick in die Ausstellungsgeschichte des Kunsthaus Zürich zeigt, dass man
sich schon sehr früh mit japanischer Kunst beschäftigt hat. Wilhelm Wartmann, der ers-
te Direktor, zeigte bereits 1928 japanische Holzschnitte aus der Sammlung Willy Boller
aus Baden. Im darauffolgenden Jahrzehnt wurden weitere kostbare Blätter aus der Samm-
lung von Alfred Baur und erneut aus der Sammlung Boller präsentiert. Die letzte Ausstel-
lung mit Kunstschätzen aus Japan wurde 1969 von Direktor René Wehrli im Kunsthaus
Zürich organisiert, in der neben Skulpturen, Keramiken, Gewänder und Masken des No-
Theaters auch Hängerollen, Wandschirme und Lackobjekte aus öffentlichen und privaten
japanischen Sammlungen zu sehen waren. Fünfundvierzig Jahre sind vergangen, seit im
Kunsthaus Zürich Werke aus dem Fernen Osten zu sehen waren. Und während die Meis-
terwerke der eigenen Sammlung in Tokyo und Kobe ausgestellt werden, begegnet ein an
Kunst, Design und Gesellschaft interessiertes Publikum in Zürich nie gezeigten Arbeiten
berühmter Künstler dieses Kulturkreises.
Claude Monet
Le bassin aux nymphéas, 1899
Öl auf Leinwand, 89 x 93 cm
State Pushkin Museum of Fine Arts, Moscow
Henri Fantin-Latour
Rhododendron, 1874
Öl auf Leinwand, 54 x 57 cm
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln
Vincent van Gogh
Japonaiserie (nach Keisai Eisen), 1887
Öl auf Baumwolle, 110,3 x 60 cm
Van Gogh Museum Amsterdam (Vincent van Gogh Foundation)
Tamamura Kōzaburō
Glyzinien beim Kameido-Schrein in Tokyo / »A499. Wysteria vine«, 2. Hälfte 19. Jh.
Albuminpapier, handkoloriert, 18,5 x 24,3 cm
Sammlung P.+R. Herzog, Basel
Paul Gauguin
Arearea no varua ino (Sous l‘empire du revenant), 1894
Öl auf Leinwand, 60 x 98 cm
Ny Carlsberg Glyptotek, Copenhagen
Claude Monet
Massif de chrysanthèmes, 1897
Öl auf Leinwand, 130,8 x 88,9 cm
Privatsammlung
James Jacques Joseph Tissot
Jeunes femmes regardant des objets japonais, 1869
Öl auf Leinwand, 70,5 x 50,2 cm
Cincinnati Art Museum, Gift of Henry M. Goodyear, M.D.
Utagawa Hiroshige
Im Kameido Tenjin-Schrein (Kameido Tenjin keidai), 1856
Blatt 65 der Serie «Hundert berühmte Ansichten von Edo (Meisho Edo hyakkei)»
Mehrfarbiger Holzschnitt, 34,2 x 22,5 cm
Bibliothèque nationale de France, Blatt ehemals Sammlung Henri Rivière
Katsushika Taito II
Karpfen (Koi), um 1830-1844
Mehrfarbiger Holzschnitt, 36,4 x 17 cm
Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst
Foto: Courtesy Art Research Center Ritsumeikan University, Kyoto