Wie aus dem Gesicht geschnitten - Porträtbüsten aus der Sammlung

6. Mai – 26. Oktober 2014

Zu der Zeit, als der grösste Teil der Porträtbüsten aus der Sammlung des Kunstmuseums
Winterthur entstanden ist, sah sich das Genre an einem Wendepunkt angelangt: Während
in der Aufklärung und der Romantik in idealisierter antikisierender Anmutung gehaltene
Büsten von Dichtern und Denkern oder Mitgliedern bedeutender Familien die öffentlichen
Plätze und Wohnzimmer bevölkerten, trat mit dem Wandel zur Moderne das gerne in
Bronze gegossene individualisierte Porträt an die Stelle der Marmorbüste nach griechisch-
römischem Vorbild. Die meist als Auftragsarbeiten ausgeführten Porträts sollten keine
Idealbilder zeigen, sondern die Persönlichkeit der Abgebildeten möglichst treffend und
individuell hervortreten lassen. Dass dies nicht immer zur gänzlichen Zufriedenheit der
Porträtierten gelang, bezeugen manche Aussagen brüskierter Auftraggeber, die sich in
den oft freiheitlich ausgeführten Darstellungen der damit betrauten Künstler nicht wieder-
erkennen konnten.

Als in Auftrag gegebene Arbeit geriet das Bildnis, sowohl als Gemälde wie noch viel mehr
in Form der Porträtbüste, als „art mineur“ in den Hintergrund des Kunstinteressens und gilt
bis heute als ein bisschen antiquiert. Nur wenige zeitgenössische Künstler pflegen die Gat-
tung, diese allerdings oft mit aufsehenerregenden Resultaten. Dass Künstler gerade auch
im 19. und im frühen 20. Jahrhundert mit Formen der Bildnisbüste experimentierten, und
sie in dieser Epoche eine grosse Vielfalt und Lebendigkeit entwickeln konnte, zeigt die Aus-
stellung anhand von Beispielen grosser Bildhauer wie etwa Jean-Baptiste Carpeaux, Auguste
Rodin, Medardo Rosso, Alberto Giacometti und Wilhelm Lehmbruck, die sich immer wieder
mit dem Genre auseinandersetzten – doch auch Maler wie Pablo Picasso und Pierre-Auguste
Renoir widmeten sich gelegentlich der Kunst der Porträtbüste. Auf Seiten der Dargestellten
finden sich Berühmtheiten wie die Künstler Ferdinand Hodler, Max Liebermann und Félix
Vallotton, der Komponist Gustave Mahler und der Schriftsteller Hermann Hesse neben lo-
kalen Grössen, unbekannten Schönen, Bauernburschen und vergessenen Helden. Ein bun-
ter Reigen, an dem sich der Stilwandel von der inszenierten zur realistischen Darstellung,
vom dekorativen Klassizismus bis zur expressiven Deformation beobachten lässt.

Mit Werken von: Jean-Baptiste Carpeaux, Charles Despiau, Alberto Giacometti, Hermann
Haller, Wilhelm Lehmbruck, Marino Marini, Pablo Picasso, Pierre-Auguste Renoir, Auguste
Rodin, Medardo Rosso und weiteren.
Jean-Baptiste Carpeaux (geb. 1827 in Valenciennes, gest. 1875 in Courbevoie)
Noélie Moret, 1873
Marmor, H: 78, B: 52, T: 37 cm
Kunstmuseum Winterthur
Marino Marini (geb. 1901 in Pistoia, gest. 1980 in Viareggio)
Ritratto del dottor Werner Amsler, 1943/1957
Bronzeguss, H: 30.5, B: 18, T: 22.5 cm
Kunstmuseum Winterthur
Hermann Haller (geb. 1880 in Bern, gest. 1950 in Zürich)
Bildniskopf des Boxers Jack Johnson, 1914
Eisenguss, H: 24, B: 17, T: 16 cm
Kunstmuseum Winterthur
Pablo Picasso (geb. 1881 in Malaga, gest. 1973 in Mougins)
Tête de fou oder L’arlequin, 1905 (um 1930)
Bronzeguss, H: 41, B: 37, T: 21 cm
Kunstmuseum Winterthur
Auguste Rodin (geb. 1840 in Paris, gest. 1917 in Meudon)
Gustav Mahler, 1909
Bronzeguss, H: 33.5, B: 23, T: 24 cm
Kunstmuseum Winterthur
Alberto Giacometti (geb. 1901 in Borgonovo, gest. 1966 in Chur)
Buste de Diego, 1955
Bronzeguss, H: 56.5, B: 31.5, T: 15 cm
Kunstmuseum Winterthur