Vom holländischen Flachland in die Alpen
7.7.2018 – 20.1.2019, Kunst Museum Winterthur | Reinhart am Stadtgarten
Die Entdeckung der alpinen Bergwelt aus der niederländischen Bildtradition heraus steht erstmals im Zentrum einer umfangreichen Ausstellung. Den Auftakt dazu markiert die Künstlerfreundschaft zwischen dem Amsterdamer Jan Hackaert und dem Zürcher Conrad Meyer und der daraus resultierenden
Erfassung der Alpen. Die Besucher erwartet ein eindrückliches Panorama der Gebirgsmalerei, die von Pieter Bruegel d.Ä. über Felix Meyer, Caspar Wolf bis zu Alexandre Calame reicht und druckgraphische Werke, topographische Zeichnungen und imposante Ölgemälde umfasst.
Die Suche nach exotischen Motiven
Ende des 16. Jahrhunderts griffen niederländische Maler ein zuvor kaum beachtetes Motiv auf: die heimische
Landschaft. Damit revolutionierten sie die Malerei und schufen ein neues Bewusstsein für ihre Heimat, die niederländischen Hügel- und Flachlandschaften. Ihr Interesse an der realen Welt exportierten sie
alsbald in die Ferne: Sogenannte «Bentvueghels», niederländische Künstler, die nach Rom zogen, begannen, mit ihren Ideallandschaften von südländischen Gebirgszügen den heimischen Markt mit exotischen Motiven zu versorgen, unter ihnen Jan Both (1618/1622 – 1652). Sein «nordisches» Pendant war Allaert van Everdingen (1621 – 1675), der skandinavische Landschaften mit spektakulären Wasserfällen und zerklüfteten Gebirgszügen ins holländische Bildrepertoire einbrachte.
Trotz ihrer Passage durch die Schweiz hielt keiner der «Bentvögel» die eindrückliche Gebirgslandschaft fest. Erst der Auftrag eines niederländischen Rechtsanwalts ermöglichte dem Amsterdamer Meister Jan Hackaert (1628–1685/90) erstmals eine systematische Erkundung der Alpen. Zusammen mit seinem Malerfreund, dem Zürcher Conrad Meyer (1618–1689), macht er sich auf, das Glarnerland topographisch zu erfassen.
Im kreativen Austausch schufen Hackaert und Meyer die ersten realistischen Interpretationen des Hochgebirges in der europäischen Kunst. Zugleich schuf Hackaert Ideallandschaften, in denen er reale Schweizer Landschaftsmotive frei gestaltete. Diese komponierten Berglandschaften erfreuten sich grosser
Beliebtheit in Holland und förderten die Gebirgsdarstellung in der niederländischen Malerei.
Entdeckung der Alpen
Das aufkeimende wissenschaftliche Interesse an der Entstehung der Alpen beförderte die künstlerische Aneignung des Motivs – so auch beim Winterthurer Felix Meyer (1653 – 1713). Unter anderem fertigte er für den Zürcher Naturforscher Johann Jacob Scheuchzer und dessen Schweizerische Gebirgskunde Illustrationen an. Seine Gebirgslandschaften machen ihn zum Pionier der Alpenmalerei: Der Untere Grindelwaldgletscher (um 1700) ist die erste Darstellung eines Gletschers in einem Ölgemälde überhaupt. Die Blüte der Schweizer Alpenmalerei beruht auf dem Zusammenspiel von Kunst, Wissenschaft und Ästhetik im 18. Jahrhundert. Die Alpen, zuvor als unzugängliche Orte des Schreckens wahrgenommen, erfuhren europaweit eine endgültige Nobilitierung durch das berühmte Gedicht des Berner Universal-gelehrten Albrecht von Haller bzw. durch Jean-Jacques Rousseaus Naturphilosophie.
Pathetische Gebirgsmotive
Diese veränderte Wahrnehmung der Gebirgswelt bildete die Grundlage für Caspar Wolfs (1735 – 1783) künstlerische Beschäftigung mit der eindrücklichen Naturkulisse. Zusammen mit dem Berner Verleger Abraham Wagner erkundete er auf wagemutigen Wanderungen das Berner Oberland. Dass er am weitesten in die unerschlossene Bergwelt vordrang, belegt seine Darstellung des Unteren Grindelwaldgletschers. Wolf fand eigenständige Formulierungen der alpinen Bergwelt und wurde damit stilbildend – nicht nur für die heimische Kunstproduktion.
Neben Wolf waren es im 18. Jahrhundert die sogenannten Kleinmeister, die das Bild der Schweiz neu formulierten. Mit Johann Ludwig Aberlis (1723 – 1786) Erfindung der kolorierten Umrissradierung gelangte die Schweizer Motivwelt in Haushalte und Kunstsammlungen in ganz Europa. Er und seine Kollegen, wie zum Beispiel Johann Jakob Biedermann (1763 – 1830), schufen auch zarte, en plein air entstandene Aquarelle, die in der Ausstellung zum Teil erstmals öffentlich zu sehen sind.
Vor diesem Hintergrund entwickelte der Genfer Alexandre Calame (1810 – 1864) eine Alpendarstellung nach akademischen Grundsätzen. Seine spätromantische, pathetische Gebirgsmalerei wurde zur nationalen Schule mit unzähligen Nachahmern. Der gefeierte Künstler unternahm tollkühne Touren, von denen er zahlreiche Skizzen mitbrachte. Sie bildeten die Grundlage seiner grossformatigen Auftragsarbeiten. Die detaillierte Wiedergabe des Vordergrunds sowie das raffinierte Spiel mit Licht und Schatten verdeutlicht sein intensives Studium holländischer Meister. Seine überwältigenden Darstellungen machten ihn zum europaweit einflussreichsten Vertreter der Alpenmalerei im 19. Jahrhundert.
Rudolf Huber, 1770–1844 (?)
Reichenbachfall
Bleistift, aquarelliert, 40,1 × 34,6 cm
Kunst Museum Winterthur, Legat Elsa Immer 1975
Photo: Reto Pedrini, Zürich
Johann Ludwig Aberli, 1723–1786
Das Oberhaslital, um 1769
Radierung, aquarelliert, 22,4 × 35 cm
Kunst Museum Winterthur
Geschenk des Galerievereins 1923
Photo: Reto Pedrini, Zürich
Caspar Wolf, 1735–1783
Der Untere Grindelwaldgletscher mit Lütschine und
dem Mettenberg, 1774
Öl auf Leinwand, 53,5 × 81 cm
Kunst Museum Winterthur, Stiftung Oskar Reinhart
Photo: SIK-ISEA, Zürich (Philipp Hitz)
Alexandre Calame, 1810 – 1864
Le Mont Rose, 1843
Öl auf Leinwand, 110 × 151 cm
Musées d’art et d’histoire, Ville de Genève
Bruegel Pieter, 1526/1530–1569
Stecher: Joannes und Lucas van Doetecum
Verleger: Hieronymus Cock
Die grosse Alpenlandschaft, um 1555/1556
Radierung und Kupferstich, 36,5 × 46,5 cm
Privatbesitz
Photo: Reto Pedrini, Zürich
Jan Hackaert, 1628–1685/1690
Zürichsee, um 1660
Öl auf Leinwand, 82 × 145 cm
Rijksmuseum, Amsterdam
Angekauft mit der Unterstützung der Vereinigung
Rembrandt
Johann Jakob Biedermann, 1763–1830
Der Rosenlauigletscher
Bleistift und Wasserfarben auf Papier
Bleistift, aquarelliert, 48,8 × 77,8 cm
Kunst Museum Winterthur
Schenkung Georg Reinhart 1939
Photo: Reto Pedrini, Zürich
Jacob Isaackszoon van Ruisdael, 1628/1629–1682
Landschaft mit Wasserfall, 1670/1675
Öl auf Leinwand, 65,5 × 52 cm
Kunst Museum Winterthur
Schenkung Stiftung Jakob Briner 2018
Photo: SIK-ISEA, Zürich (Philipp Hitz)
Jan Hackaert, 1628–1685/1690
Die Viamala, 1655
Feder in Grau, braun, grau und lila-grau laviert, über
Graphit, 37,6/37,1 × 29,5 cm
Kunsthaus Zürich, Graphische Sammlung
Photo: ©Kunsthaus Zürich
Felix Meyer, 1653–1713
Der Untere Grindelwaldgletscher mit dem Mettenberg,
um 1700
Öl auf Leinwand, 56 × 76 cm
Kunst Museum Winterthur
Dauerleihgabe der Kunstsammlung der Stadt
Winterthur
Photo: SIK-ISEA, Zürich (Philipp Hitz)
Allaert van Everdingen, 1621–1675
Berglandschaft mit Wanderern
Öl auf Holz, 38 × 14,2 cm
Privatbesitz
Photo: Reto Pedrini, Zürich