Lasst die Puppen tanzen

Lasst die Puppen tanzen
5. Mai bis 10. September 2017, Museum für Gestaltung, Toni-Areal


Das Museum für Gestaltung lässt ab Anfang Mai die Puppen tanzen! Weltbekannte Marionetten und faszinierend gestaltete Requisiten erhalten im Toni-Areal ihre Bühne. „Backstage“ beleuchtet die Ausstellung den Entwurfsprozess der Künstler und setzt vergangene Aufführungen in Bild und Ton in Szene.
Hereinspaziert! Wenn das Museum für Gestaltung seinen hochkarätigen Figurenbestand präsentiert, lässt sich trefflich darüber streiten, welches nun die schönste Tänzerin, der grimmigste Räuber oder das bezauberndste Tier ist. Jede Marionette verkörpert ihre ganz bestimmte Rolle, wie sie das Stück vorschreibt, in dem sie agiert. So reitet die Zirkusartistin Blonda wagemutig auf der Eisbärin, der Wahrsager Colas rezitiert Zaubersprüche aus seinem Buch, während der ohnmächtige Don Quixote einer Illusion hinterherreitet. Im Doktor Faust, einem der ältesten Puppenspielstoffe überhaupt, gehen in der Höllenkulisse Fiktion und Wirklichkeit ineinander über. Hingegen agiert die stets „Züridüütsch“ sprechende Figur Hansjoggel als Vermittler zwischen Stück und Zuschauer und galt in seiner Zeit als absoluter Publikumsliebling. Die Ausstellung präsentiert neben diesen reizenden Originalpuppen in allen Grössen auch Kulissen, Filme, Tonspuren sowie Entwürfe. Begrüsst werden die Besucherinnen und Besucher in der Eingangshalle des ToniAreals mit den für das Modehaus Fendi lebensgross reproduzierten Sophie Taeuber-ArpMarionetten, die Karl Lagerfeld letztes Jahr zu einer Kollektion inspiriert haben.
Seit hundert Jahren sammelt das Museum Marionetten
Den Grundstein für die umfangreiche Figurensammlung des Museum für Gestaltung legte vor rund hundert Jahren Alfred Altherr als Direktor der Zürcher Kunstgewerbeschule (heute ZHdK) und des dazugehörigen Museums. Er regte die experimentelle Auseinandersetzung mit dem vielfältigen Personal des Puppentheaters an und verwirklichte den Wunsch nach einer eigenen Marionettenbühne 1918 an der Ausstellung des Schweizerischen Werkbunds in Zürich. Dieses Schweizerische Marionettentheater entfaltete bis 1935 seine Wirkung und erfuhr 1942 als Zürcher Marionetten eine Fortsetzung. Die Ausstellung zeigt aus dem Programm von 1918 die dadaistischen Figuren der damals als Lehrerin für textiles Gestalten angestellten Sophie Taeuber-Arp. Die Künstlerin schuf die radikalen, konzeptuellen und mittlerweile international bekannten Puppen zum Stück König Hirsch, das als Persiflage des Streits zwischen Freudanalyticus und Doktor Komplex im Zürcher Milieu angesiedelt ist. Vor der Grossstadtkulisse von Paris hingegen spielt La boîte à joujoux. Der am Kubismus geschulte Maler Otto Morach, als Zeichnungslehrer an der Kunstgewerbeschule tätig, schuf dessen umfangreiches Figurenensemble aus Pierrots, Soldaten und Puppen nebst pickenden Gänsen und einem Panther. Zusammen mit den maskierten Figuren der russischen Künstlerin Alexandra Exter von 1926 bilden diese Spiele eine eindrückliche Avantgarde-Werkgruppe, an die der bekannte Grafiker Josef Müller-Brockmann 1951 mit einem eigenwilligen Satz Figuren zur Opernpersiflage Hin und zurück anknüpfte.
Auch Hand- und Stabpuppen gehören zu den Berühmtheiten
Aus dem Bereich der Handpuppen stammen die Kasperlifiguren des für seine Holz-Spielzeuge bekannten Designers Antonio Vitali. Sein König und sein Mann mit Schnauz erscheinen als demokratische Gemüter, denen die Hand des Puppenspielers Gestik und zupackende Kraft verleiht. Auch der gestalterische Autodidakt Fred Schneckenburger setzte zunächst auf dieses kleine Format, bevor er mit seinem Puppencabaret aus weit grösseren Stockfiguren 1948 erstmals in Zürich auftrat und anschliessend erfolgreich durchs Ausland tourte. Die Besucher können nicht nur Schneckenburgers exzentrische Puppen bewundern, sondern auch seinen zeitkritischen Texten lauschen, die Schweizer Schauspielstars wie Voli Geiler, Margrit Rainer oder Ruedi Walter zu Stücken wie Die Witwe und der Geile oder La Gueule cassé eingespielt haben.

Selber Teil eines Schattenspiels werden
Wenn zu guter Letzt Stabpuppen aus der Welt der Schattenspiele auftreten, ist auch der Wiener Jugendstil-Künstler und Puppenspieler Richard Teschner nicht weit. Seine zartgliedrigen Figurenkreationen erstaunen durch filigrane Verarbeitung und magische Gestaltung. Sie leiten die Besucher vor den Paravent, hinter dem diese selbst Teil eines Schattenspiels werden können. In einem kleinen in die Ausstellung integrierten Kino lässt es sich mit Filmausschnitten von der Augsburger Puppenkiste bis zu den surrealen Filmen der Quay Brothers in die Welt der Puppenfilme eintauchen.
Publikation zur Ausstellung
Ergänzend zur Ausstellung erscheint eine Publikation in der Reihe „Sammeln heisst forschen“. Sie nimmt Sophie Taeuber-Arps radikale „König Hirsch“-Figuren in den Blick, Otto Morachs Puppenensembles und die konstruktivistisch geprägten Marionetten Alexandra Exters. Der als Grafiker bekannte Josef Müller-Brockmann wird als Bühnengestalter fassbar, der etablierte Kaufmann Fred Schneckenburger als Leiter seines expressiven Puppencabarets. Ein einleitender Essay verortet die Puppentradition im Umfeld der Zürcher Kunstgewerbeschule.
Komponierte Szene aus Zirkus Juhu oder Tiermensch und Menschentier: Blonda auf Eisbär, Mähn, die Löwin, Jaffa, der Orang-Utan, Tropf, der Zirkusdirektor, Kunstgewerbesammlung, Museum für Gestaltung, © ZHdK
Ausstellungsfoto, © ZHdK
Ausstellungsfoto, © ZHdK
Fred Schneckenburger für Fred Schneckenburgers Puppencabaret, Stockpuppe Die Dienerin zu Der Tanz des Lebens, 1954, Kunstgewerbesammlung, Museum für Gestaltung, © ZHdK
Komponierte Szene aus Das Eulenschloss: Baron Eulenschloss, seine Verwandlungsfiguren Eule und Geheimsekretär Eulert, rechts Kanzleirat Aktenmeier und Hofrat Federfuchser, Kunstgewerbesammlung, Museum für Gestaltung, © ZHdK
Sophie Taeuber Arp für die Schweizerische Werkbundausstellung, Marionette Wache zu Carlo Gozzis König Hirsch, 1918, Kunstgewerbesammlung, Museum für Gestaltung
Layout: Immer zwei Werke nebeneinander, © ZHdK
Josef Müller-Brockmann für die Zürcher Marionetten, Marionetten Helene und Robert zu Paul Hindemiths Kurzoper Hin und zurück, 1951, © Münchner Stadtmuseum
Félix Vallotton, La charette, 1911 Öl auf Leinwand, 101 x 74 cm Dauerleihgabe, Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Kunstmuseum Bern, Fotografie: Reto Pedrini, Zürich