Zuhause auf der Strasse
29. März bis 10. Juli 2011
Wenige leben heute direkt auf der Strasse. Hilfsorganisationen vermitteln Übernachtungsmöglichkeiten oder Wohnungen; sie sind Anlaufstelle für
eine rudimentäre Versorgung, bieten Raum und menschliche Unterstüt-
zung, Beratung sowie spezielle Suchtprogramme. Dennoch bleibt für man-
che die Strasse das Zuhause. Dort trifft sich die Szene und unterwegs zu
sein bestimmt das Lebensgefühl. Ahmed (Zürich) malt den "Pfuusbus",
der jeden Winter Schlafstellen und Essen bereit hält. In einem Haus der
Pfarrer Sieber-Werke in Zürich wohnt auch Nina Wild. Unter den Kleider-
spenden wählt sie ihr Material. Indem sie Shirts, Pullover, Jacken bemalt
oder mit Objekten versieht, kreiert sie eine höchst eigenwillige Mode. Mit
Aufschriften und provokanten Bildern verweist sie zudem auf existentielle
Bedürfnisse.
Der mobile Fotoapparat ist ein geeignetes Medium, Lebenswege zu doku-
mentieren. Nina Wild fotografiert jede Unterkunft. Bobby Moor (St.Gallen)
ist mit der Handykamera unterwegs, sich selbst zu erkunden. Jan-Piet Graf
(St.Gallen) hingegen trägt kleine Skizzenblöcke mit sich, in die er zeichnet
und Erlebnisse notiert.
Im Zentrum steht das Werk von Beate Stanislau (Zürich). Sie ist in der
DDR aufgewachsen, hatte ein Studium für bildende und angewandte
Kunst begonnen sowie Literatur studiert. Noch vor der Wende kommt
sie 1989 nach Westdeutschland, später in die Schweiz. Seit 1994 ist
Beate Stanislau wohnungslos und hier und da lebend. Gleichwohl hat
sie ein umfangreiches bildkünstlerisches wie literarisches Werk geschaf-
fen. Eine Wohnung in Deutschland bot Raum für grossformatige Gemäl-
de oder bemalte Objekte. Unterwegs aber auf der Strasse zeichnet sie
vorwiegend mit Filzstift und schreibt lyrische Texte in deutscher und
englischer Sprache. Die St.Galler Fotografin Franziska Messner-Rast,
die namhafte internationale Künstler porträtierte, aber auch für die
Gassenküche fotografierte, hat Beate Stanislau einen Tag lang mit der
Kamera begleitet. Ihre Fotodokumentation sowie Porträts von Jan-Piet
Graf ergänzen die Ausstellung.
Anstelle einer Dokumentation sind zudem Gemälde von James Holenweger
(1947-1994) integriert, die drastisch-realistisch die St.Galler Drogen- und
Strassenszene um 1990 schildern.
Die Ausstellung ist ein Experiment. Der Kontakt zu den KünstlerInnen ist
den Hilfsorganisationen zu verdanken, die bei der Vermittlung unseres
Anliegens halfen. Wir danken ausdrücklich allen KünstlerInnen für die Zu-
sammenarbeit sowie all denen, die uns bei diesem Ausstellungsprojekt
unterstützen, insbesondere der Stiftung Suchthilfe St.Gallen in Kooperation
mit der Gassenküche und den Medizinisch-sozialen Hilfsstellen, der SOS-
Beratung des Schweizerischen Roten Kreuz ZH und den Sozialwerken
Pfarrer Sieber in Zürich.
Beate Stanislau (geb. 1942), Ohne Titel, undatiert,
Acryl auf Papier